Morbus Bechterew

Erfahrungen mit Rheuma schon in Jugendjahren

Diese Geschichte wurde grösstenteils in den Jahren 2002-2005 geschrieben und umfasst – mit Ausahme der neuer datierten Teile – den Stand von damals.

“Was, Rheuma? Das kann doch nicht sein. Du bist doch noch so jung!” – Leider ein oft gehörter Satz. Viele Leute haben keine Ahnung, dass bereits Kinder rheumatische Erkrankungen haben können. Gerade sie werden oft als Simulanten tituliert – zu Unrecht. Dieser Text soll anhand der Schilderung persönlicher Erfahrungen mithelfen, Vorurteile abzubauen.

Wichtig: Ich gebe hier ausschliesslich persönliche Erfahrungen weiter – in der Hoffnung, anderen Betroffenen Anhaltspunkte oder Ideen zu vermitteln. Rheumatische Erkrankungen haben wohl etwa so viele Ausprägungen wie es Menschen gibt, die davon betroffen sind. Fachkundige “offizielle” Informationen vermitteln nebst Fachärzten z.B. Bücher wie dieses.

Auch Selbsthilfegruppen, Rheuma-Organisationen oder Bechterew-Vereinigungen (Schweiz / Deutschland) sind eine wichtige Möglichkeit zum Austausch mit Betroffenen oder für eine Beratung. Empfehlenswert als Nachschlagewerk ist diese Seite (Rheuma von A-Z). Die Seite activecontrol.ch wird zwar von einem Pharmariesen gesponsert, bietet aber gute Basisinfos zu Morbus Bechterew, Morbus Crohn und zu rheumatoider Arthritis. Im Januar 2004 verfasste die Berner Maturandin Claudia Bircher zudem diese Abschlussarbeit am Gymnasium Neufeld (PDF, 240kb).

Die Schweizerische Vereinigung Morbus Bechterew feierte ihr 25jähriges Jubiläum 2003 mit einer Potskartenserie und Prospekt, der u.a. einen Online-Test anpreist. Im Rahmen der Kampagne ist u.a. auch dieser Artikel erschienen. Im Januar 2008 erschien zudem in der Berner Zeitung dieses Portrait.

Der Rest des Textes, der 2001 entstand, ist inzwischen in Vergangenheitsform umgeschrieben worden – seit Ende 2002 bekomme ich den TNFalpha-Hemmer Remicade (Wirkstoff Infliximab), was meine Krankheit schlagartig “beendet” hat. Studien zeigen zwar, dass ein Absetzen der TNFalpha-Hemmer die Krankheit meistens wieder aktiv werden lässt. Die Medikamente sind zwar hochwirksam, wirken aber nicht bei allem Bechterew-PatientInnen und sind sehr teuer. Mehr dazu hier.

Mich selbst hat’s mit dem Morbus Bechterew erwischt (Spondylitis Ankylosans); erste Symptome hatte ich mit 11 Jahren in den Knien, die ersten Schmerzschübe in Becken und Wirbelsäule mit 20 und die offizielle Diagnose nach dem ersten wirklich starken Schub im Becken mit 22. Seither wechseln sich ruhigere Phasen ab mit starken Schüben, die zwischen mehreren Wochen und wenigen Tagen dauern. Gänzlich schmerzfrei war ich zwischen 1994 und 2002 nie mehr. Das schubartige, überraschende Auftreten der Krankheit ist typisch für einen Bechterew, was den Umgang mit der Krankheit keineswegs vereinfacht – ich habe in den Jahren niemals konkrete Faktoren ausmachen können, die einen Schub auslösen, wobei ich Wetterlage, Ernährung, Stimmung, Stress usw. miteinbezogen habe.

Symptome eines Bechterew-Schubs sind entzündete Gelenke und Sehnenansätze (es kann alle treffen); auch umliegende Gewebeteile oder gar Organe können betroffen sein. Es sind zumeist Bewegungsschmerzen, d.h. komplettes Ruhigstellen bewirkt in der Regel ein Verschwinden der Schmerzen (dies ist aber trügerisch, den Gelenken zuliebe sollte man sie dennoch bewegen). Es kann sich dabei um Millimeter handeln: Nur schon Einatmen kann stechende Schmerzen auf einem Schmerzpunkt in der Wirbelsäule verursachen (bei mir waren vor allem die Brustwirbelsäule betroffen sowie Schulter- und Hüftgelenke sowie das Iliosakralgelenk im Becken). Besonders angenehm ist es, wenn man morgens um 4 aufwacht und keine Position mehr findet, schmerzfrei zu liegen oder zu atmen und die Schmerzmittel auf den leeren Magen steten Brechreiz verursachen – aber man gewöhnt sich an alles…

Ausserhalb der Schübe sind stündlich bis täglich wechselnde Schmerzen in Gelenken oder Weichteilen möglich, Verspannungen im Nacken, Schmerzen im Becken beim Gehen, sich im Bett nicht drehen können, ohne aufzuwachen usw.

Das typische Endstadium der Krankheit, eine verknöcherte und nach vorne gebeugte Wirbelsäule (das klassische “Buggeli”), ist heutzutage selten geworden. Therapien, Gymnastik und Medikamente können dies meist verhindern. Es kann auch vorkommen, dass sich die Krankheit bis in ein bestimmtes Alter austobt – und dann schlagartig verschwindet. Leider sind aber alle betroffenen Gelenke einem steten Zersetzungsprozess ausgesetzt, was die regelmässige Einnahme von Medikamenten nötig macht. So wenig wie möglich, aber soviel wie nötig, lautet die Devise, und auf Reisen muss man stets alle wichtigen Medis dabei haben – für alle Fälle.

Zwischen 1994 und 2002 nahm ich – ebenfalls typisch für die Krankheit – täglich sogenannte nichtsteroidale Entzündungshemmer (deren wichtigster Vertreter: Diclofenac, Hauptwirkstoff z.B. von Voltaren) und musste mir während starken Entzündungsschüben Steroide (Cortison) ins betroffene Gelenk spritzen lassen oder als Tablette einnehmen, was einen Schub meistens nach wenigen Stunden oder Tagen abschwächte. Zum Glück wurde ich von Nebenwirkungen der Medikamente weitgehend verschont, soweit ich das selbst beurteilen kann. Ein Absetzen der Medikamente oder ein Vergessen der Einnahme führte meistens innert Stunden zu stärkeren Schmerzen und Verspannungen.

Meine tägliche Medikamentenration bestand in ruhigen Phasen aus 2x300mg Celebrex (Cox-2-Hemmer, magenschonend, seit 2000 auf dem Markt – gewisse Cox2-Hemmer sind ab 2004 wegen erhöhtem Herzinfarktrisiko in Verruf geraten, Vioxx z.B. wurde vom Markt genommen) und in stärkeren Phasen aus 150mg Dicolfenac (normalerweise die verordnete tägliche Maximaldosis, in Form von 2x Voltaren 75 retard oder 2x Arthrotec 75mg, inkl. Magenschutz). Dazu kommt Magnesium, da der Bechterew einen Magnesiummangel im Blut verursacht, was häufig Krämpfe zur Folge hat. In Phasen von Schüben können Cortisonspritzen ins betroffene Gelenk nötig werden, dazu gibts am Anfang bis zu 6×20 Tropfen Tramal täglich (starkes Schmerzmittel), damit ich mich überhaupt noch bewegen konnte, oder Cortisontabletten wie z.B. Prednison zwischen 40 und 100mg, wobei wichtig ist, gewisse Steroide “auszuschleichen”, d.h. die Dosis schrittweise zurückzunehmen anstatt schlagartig abzusetzen. Daneben nahm ich im Rahmen einer Komplementärbehandlung Vitamin E und Selen sowie etwa alle 2 Monate ein homöopathisches Medikament und besuchte wöchentlich einen Shiatsu-Therapeuten, was mir einige Erleichterung auch beim Bechterew (vor allem Verspannungen) gab, jedoch auch dafür sorgte, dass Verdauung und Schlaf deutlich besser wurden.

Zu den Schmerzen kommen oft heftige Augenentzündungen, die jederzeit auftreten können, namentlich die beim Bechterew verbreitete Iritis – nähere Informationen dazu auf dieser Seite. Auch hier helfen in der Regel nur cortisonhaltige Tropfen und Tabletten.

Zudem habe ich als Folge des Bechterew Osteoporose im Anfangsstadium, was mitunter im Frühling 2001 zu einem schweren Beinbruch geführt haben könnte, der vier Operationen nach sich gezogen hat. Dagegen nehme ich nach wie vor Fosamax-Wochentabletten und täglich Calcium (Calcimagon-D3).

Weiteres zur Geschichte in diesem PDF vom Februar 2003 (Fragen der Firma activecontrol.ch für eine Website mit Testimonials von Bechterew-Betroffenen).

Ich möchte das Augenmerk hier auch auf die besonderen Ausprägungen der Krankheit richten, die Aussenstehenden oft seltsam vorkommen – und damit auch gegen Vorurteile ankämpfen.

Auf den Punkt gebracht: Es ist absolut normal, dass RheumapatientInnen an einem Abend kaum gehen können vor Schmerzen und am nächsten Morgen herumhüpfen wie ein junges Reh. Bisweilen kommen einem solche Spielchen des eigenen Körpers selbst seltsam vor, wenn auch die Freude überwiegt, wenn sich ein Entzündungsschub abgeschwächt hat. Es kann aber auch umgekehrt gehen – innert Stunden kann ein Schub dafür sorgen, dass der Notarzt nachts mit einer heavy Spritze anrücken muss, da man sich nicht mehr bewegen kann. Dazu kommen die Nebenwirkungen von Medikamenten, welche die Konzentrationsfähigkeit oder Leistungsfähigkeit negativ beeinflussen können.

Die psychischen Auswirkungen sind nicht zu unterschätzen: Ständiges Verspanntsein oder bei jedem Schritt an die Krankheit erinnert werden – das ist nicht jedermanns Sache. Ich selbst habe anfänglich eine Selbsthilfegruppe für junge Menschen mit Rheuma besucht, was für einen ersten Austauch OK war, mich jedoch auch zunehmend frustrierte, da ich eher der Verdrängungstyp bin und mich möglichst wenig mit der Krankheit beschäftige (was natürlich Blödsinn ist, denn eigentlich müsste ich auch regelmässig Gymnastik und Krafttraining machen). In der Gruppe wurde ich stets daran erinnert und sah zudem weit schwerere Fälle – dies hat mich bewogen, die Gruppe nicht mehr zu besuchen (“So kann ich auch mal enden, ächz”) und Erfahrungen auf diesem Wege weiterzugeben.

Ich selbst fuhr in den Zeiten, als der Bechterew noch aktiv war, mit der Methode “Mitmenschen informieren” am besten: Zumal die Krankheit oft augenfällig ist (Hinken, “komische” Bewegungen), sage ich meinem Umfeld, was Sache ist, bevor irgendwelches Getuschel entsteht. Zudem fördert dies das Wissen über die häufig unbekannte Krankheit und hoffentlich auch die Toleranz gegenüber anderen Betroffenen. Wohlgemerkt: Es geht nicht um das Erhaschen von Mitleid oder um Wehleidigkeit. Aber es mag für unterinformierte Mitmenschen mitunter schwierig zu verstehen sein, warum eine Person z.B. ausgeprägte Stimmungsschwankungen hat und am Tag X sagt “ich kann leider nicht arbeiten kommen, da ich mich nicht bewegen kann”, tagsdarauf aber quietschfidel wieder auftaucht oder am folgenden Wochenende in die Berge Skifahren oder Wandern geht.

Mit dem Schicksal hadern macht für mich wenig Sinn, auch wenn sich während starken Schüben auch nach Jahren ein grosser Verdruss breitmacht. Betroffene müssen sich wohl oder übel damit abfinden, dass sie die entsprechenden Träger im Blut haben und die Krankheit ausgebrochen ist. Das ist so, und solange die Krankheit als unheilbar gilt, sind die Symptome halt einfach da, und man muss lernen, damit zu leben und umzugehen. Punkt. “Pech gewesen – aber mach das beste draus”, so fahre ich persönlich am besten: Sich ab und zu mal eine Freude mehr als erlaubt gönnen, ein Wellnessweekend oder sogar eine Wellnesswoche einschalten, ein feines Essen, ein Spaziergang im Wald, vermehrt Nein sagen, Frustkäufe im Mediamarkt… – whatever! Aber vor allem: Lernen, sich an kleinen Dingen im Leben zu freuen – es kommt selten genug vor, dass ich zwei Treppenstufen miteinander erklimmen kann. Aber wenn, dann herzhaft smilend… gerade in den weniger intenstiven Phasen der Krankheit ist es gut, wenn man sich eher mehr als weniger Freuden gönnt.

Das offensichtliche Unvernünftigsein, das ich praktiziere, möchte ich nicht unbedingt weiter empfehlen… keine Anpassung der Ernährung, ausser Skifahren kein Sport, keine Gymnastik – naja! Ich dachte für mich: “Shiatsu und die alternativmedizinische Behandlung sind vorerst genug” – wobei ich mir bewusst war, dass ich von meinem Körper später durchaus die Quittung für mein Verhalten bekommen könnte. Aber ich wurde leider nicht als Sportfreak geboren und sagte mir, solange ich noch einigermassen normal leben kann, denke ich möglichst wenig an den Bechterew – ein ständiges Training wäre eine Art Sich-der-Krankheit-Unterwerfen, ein Fremdbstimmtsein durch das Rheuma, und folglich eine regelmässige Erinnerung daran, dass man etwas Mühsames hat. Akzeptieren, ja – aber sich unterwerfen, nein. Sicher nicht jedermanns Sache.

Ein Audiofile eines Beitrages zum Thema Rheuma bei jungen Menschen kann hier als MP3 und hier als RealAudio-Datei abgerufen werden.

Hoffnung dank TNF-alpha-Blockern

Seit Frühling 2002 wurde immer mehr über neue Therapieformen diskutiert, die an sich für Polyarthritis entwickelt wurden. Inzwischen scheint festzustehen, dass die sogenannten TNF-alpha-Blocker das Wundermittel zu sein scheinen, auf das Rheumageplagte seit Jahren gewartet haben; sie lassen in vielen Fällen auch Bechterew-Symptome schnell verschwinden. Schweizer Krankenkassen bezahlen die sündhaft teure Behandlung (bis Fr. 25’000 pro Jahr allein für das Medikament ohne Behandlung) bei einer ärztlichen Verschreibung seit 2003.

Andererseits ist nicht abzuschätzen, wie lange die neuen Wirkstoffe Imfliximab und Etanercept derart teuer sein werden, da sich angesichts des in Studien erzielten Therapieerfolgs (bei mir waren die zuvor jahrelang plagenden Schmerzen nach einem Tag komplett verschwunden) wohl bald Tausende das Mittel verschreiben lassen wollen – und vor allem: Wieviel andere Kosten sich im Vergleich mit einer konventionellen Behandlung einsparen lassen (man bedenke: Medikamente, Notarztbesuche, unberechenbare Randerscheinungen wie Augenentzündungen, Arbeitsausfall, Wartezeiten usw.). Zu sagen ist aber auch, dass mögliche langfristige Nebenwirkungen noch nicht feststehen.

Studien aus medizinischen Journals können Betroffenen Argumentationshilfen liefern:

  • The Lancet Vol. 350, 6. April 2002, S. 1187ff.
  • The New England Journal of Medicine, Vol. 346, Nr. 18, 2. Mai 2002, S. 1349ff.
  • Schweiz Med Forum Nr. 11, 13. März 2002
  • TNF-Informationszentrum: Website mit sehr breitem Informationsangebot

Leider sind die beiden englischen Texte nur gegen Bezahlung abrufbar. Weiterführende Links sind aber auf dieser Seite aufgeführt.

Der lange weg zu Remicade

Ich habe mich im Frühjahr 2002 das erste Mal mit den neuen Medikamenten auseinandergesetzt. Ein Gespäch mit einem Rheumatalogen im Juni 2002 ergab, dass ich zwar für eine Behandlung mit TNF-alpha-Blockern in Frage käme, aber die Krankenkassen kaum etwas daran bezahlen, auch wenn es die derzeit wirksamste Behandlungsmethode wäre (Stand April 2002!). Die allgemeine Diskussion um die Kostenexplosion im Gesundheitswesen führe dazu, dass die Kassen strikter denn je seien.

Toll: 30jährigen, die bei jeder Bewegung schmerzhaft an ihre Krankheit erinnert werden, bekommen die idealen Behandlungsmethoden verweigert, während in diesem Augenblick tausende von Menschen wegen irgend einem kleinen Bobo zum Arzt rennen und dort zuhauf unnötige Medikamente in zu grossen Packungen bekommen. Ich bin nicht Ethiker und möchte nicht entscheiden müssen, wo in der Medizin Leistungen abgebaut werden und wer über Leben und Tod entscheidet. Aber ich bin nach sieben Jahren chronischen Schmerzen soweit, dass ich von mir selbst sage: Falls ich heute oder vor allem mit 85 Jahren bei einem Unfall so schwer verletzt werde, dass ich nur mit der absoluten Spitzenmedizin überlebe, dann sterbe ich lieber, weil’s halt scheinbar so sein soll, als Kosten in Millionenhöhe zu verursachen und wochenlang auf der Instensivstation zu liegen.

Diese finanziellen Mittel sollten getrost Patienten aller Altersgruppen mit schweren chronischen Beschwerden zugute kommen.

Wie ging es weiter? – Die Ups and Downs chronologisch

Einleitung (Sommer 2002): Im “Normalzustand” sind einzelne Gelenke entzündet und ich habe mittlere Bewgungsschmerzen, die abends und frühmorgens am stärksten sind – primär im Iliosakralgelenk, in der Brustwirbelsäule, im Becken und in den Schultern. Auch Knie- und Fussgelenke waren kurzfristig schon betroffen, die Hände zum Glück noch nie. Ich hatte bisher eine Iritis. Während Bechterew-Schüben allerdings kann es im Extremfall bis zur vollständigen Bewegungsunfähigkeit kommen – dann ist der Notarzt mit einer Spritze gefragt. Das kommt etwa alle zwei Jahre vor. Gehen ist meistens nur mit Mühe möglich, sich im Bett drehen fast unmöglich. Mein aktueller Schub ist der längste und schwerste bisher; er dauert seit März 2002. Da diesmal gleichzeitig und beidseitig Schultern, alle Gelenke der Beckengegend, Knie und Brustwirbel betroffen waren (und die konventionellen Medikamente weitgehend wirkungslos blieben), habe ich mich nach weiteren Behandlungsmöglichkeiten umgesehen und bin im Bereich der gentechnologisch hergestellten neuen Medikamente hängen geblieben – nicht gerade mit dem besten Gewissen, aber leider ist es so: Gesinnungen sind schnell über Bord geworfen, wenn eine gewisse Schwelle der Selbstbetroffenheit überschritten ist.

September 2002: Die grosse Hoffnung, im Herbst 2002 in Bern an einer Studie mit Interleukin-11 teilzunehmen, ging in letzter Sekunde bachab. Es waren schon alle Papiere ausgefüllt, Tests gemacht und Termine bestimmt, da sagte die Herstellerfirma das Ganze ab. Während Monaten freut man sich auf den Tag, an dem man die Spritze bekommen soll, die einem erstmals womöglich erstmals wirklich hilft – um zehn Minuten vor dem vermeintlichen Glück erzählt zu bekommen, dass alles abgeblasen sei. Na toll.

Oktober 2002: Unglaublich, aber wahr – die Krankenkasse hat einem Antrag des Arztes, der die Interleukin-Studie geleitet hätte, zugestimmt, dass ich zumindest vier Gaben Remicade (Infliximab; TNF-alpha-Blocker) bekomme. Die Kasse übernimmt 90% der Kosten, was für mich immer noch einen rechten Happen übrig lässt. Die Bechterew-Vereinigung hat mich allerdings darauf aufmerksam gemacht, dass ich laut Gesetz maximal 600 Franken selbst tragen muss. Die Tatsache, dass ich praktisch therapieresistent bin, was herkömmliche Entzündungshemmer und Analgetika angeht, ist endlich wahrgenommen worden – ein weiterer Hoffnungsschimmer. Auf dieses Ziel habe ich nun etliche Monate hingearbeitet. Ich bin gespannt, ob das Präparat wirklich hält, was es verspricht – sind die radiologisch nachgewiesenen Abnutzungen in den ISG zu weit fortgeschritten, als dass hier eine Verbesserung zu erwarten wäre? Verschwinden die Schmerzen ganz? Bleiben sie so wie jetzt? Welche Nebenwirkungen sind zu erwarten? Wie ist es, am Morgen schmerzfrei aufzustehen? Verschwindet auch die latente Müdigkeit? Wie reagieren meine Knie, bei denen langsam unklar ist, welche Schmerzen von der Operation und welche von der Spondylitis herrühren? Spannung!

18. Oktober 2002: Im Schweizer Bechterew-Magazin “Vertical” ist ein Portrait über mich erschienen (hier abrufbar – Grösse 255kb – oder hier auf französisch, Grösse 387kb) Peter Staub hat es anlässlich eines Besuchs bei mir im Spätsommer geschrieben. Das muss gefeiert werden – mit dem ersten Spaziergang im Schnee diesen Herbst. Bechti macht mit – vorerst…

21. Oktober 2002: Ein weiterer Peak im aktuellen Schub – ohne Hilfe der Nachbarin hätte ich zum dritten Mal nach Sommer 1995 und Frühling 2002 den Notarzt nach Hause rufen müssen. Ich konnte mich aus eigener Kraft nicht mehr bewegen – nach 3 Stunden Schlaf war Schluss, bis morgens um sieben lag ich wach im Bett, trotz Medikamenten. Mein altbekannter Schmerzpunkt in der Brustwirbelsäule (BWS) sowie die Schultern schmerzten wie wahnsinnig; fast alle Muskelpakete entlang der Wirbelsäule verkrampften sich bei jeglicher Bewegung in einen stechenden Schmerz an 3-4 Punkten gleichzeitig. Gerädert ächzte ich mich schliesslich mit Hilfe aus dem Bett – die Bewegung beim Gehen ermöglichte nach rund 2 Stunden einen einigermassen normalen Gang. Immerhin gings danach schnell massiv besser – der Tagesverlauf meines Bechterew ist wahrlich extrem derzeit. Ein Chiropraktor “knackste” am Mittag die BWS wieder fit; danach konnte ich bereits wieder auf den Bus springen. Der Arzt, der die Infliximab-Behandlung leitet, gab mir die Erlaubnis, bis zur ersten Gabe Remicade (die bis Mitte November erfolgen sollte) ab sofort mit 2x Tramal Retard 100mg, 4000mg Paracetamol, 2x200mg Celebrex und 2x75mg Diclofenac am Tag dem Schmerz zu bekämpfen. Nach zwei Nächten, in denen ich mir selbst ähnliche Dosen zumutete, die parktisch nichts nutzten, ist es nun höchste Zeit für die erste Gabe Remicade. Ich freue mich immens darauf.

15. November 2002: Die vierte Knie-Operation, na danke. Ich gehe wieder mal an Stöcken und nerve mich, dass ich mehr Schmerzen im Bein habe. Immerhin: Herr Bechterew hat sich für 4 Tage abgemeldet, kommt nun aber wie immer wieder herangeschlichen. Der Lichtblick: Ich habe den ersten Remicade-Termin! Ende November gehts los.

27. November 2002, Morgen: Und hier sitze ich also in der Rheumaklinik des Berner Inselspitals – harrend der Dinge, die da kommen sollen. Drei Tage soll ich hier bleiben; das nervt zwar, aber auf diesen Tag habe ich Monate, wenn nicht Jahre, gewartet. Also lasse ich das noch so gerne über mich ergehen. Und was soll’s – es sind stressige Zeiten, ein wenig Zwangsruhe soll rastlosen Menschen ja angeblich gut tun.

27. November 2002, Abend: Nach einem Tag, der primär aus Warten bestand, bleibt ein gewisses Gefühl der Ernüchterung. Zum 23. Mal die selben Fragen beantworten, zum 54. Mal die selben Untersuchungen. Organisation ist auch Glückssache: Ob ich denn einen aktuellen HIV-Test hätte – ja, hab ich, aber natürlich den Wisch nicht dabei. Wie denn das mit der Tuberkulsoe-Impfung und dem Mantoux-Test sei… ja, alles gemacht und OK, das hab ich dem einen Arzt der Rheumaklinik auch schon gemailt, …aber jetzt soll ich doch noch den Impfausweis bringen, und das Ergebnis (1.5cm) sei ja auch eher an der Grenze für Remicade. Auf dem Aufgebot stand zwar was von Badehose (wozu auch immer), aber von Impfausweis stand da nichts. Wozu hab ich denn das Ergebnis des Mantoux-Tests dem Arzt unmittelbar nach Bekanntwerden gemailt? Dann auch noch das: Meine Operationsnarbe von vor zwei Wochen sei eventuell zu frisch, da wisse man nie… na ja, OK, aber wieso hab ich denn das auch schon mit dem anderen Arzt besprochen, dass die Zeitspanne zwischen OP und Remicade genügend lang sei? Dankbarkeit und Verständnis in Ehren, aber Kommunikation scheint hier nicht grossgeschrieben zu sein.

Und als Sahnehäubchen dann noch die Belehrung eines nochmals neuen Arztes, die ich mir von wiederum einem anderen Arzt schon einmal anhören musste: Echt, die Leier, dass ich eigentlich ein leichter Fall sei und dass es ein teures Medi sei, die kenne ich nun langsam. Hey, ich weiss, was ich tue – ich hab mir das nun einige Monate überlegen können und ich habe mich informiert, ich brauche nicht noch im letzten Augenblick einen Dämpfer. “Das Internet ist halt eine schlechte Infoquelle bezüglich TNFalpha, wissen Sie.” Wie wärs mit einem Recherche-Kurs bei mir? Und woher nimmt er das Recht, zu behaupten, ich hätte mich nur im Web kundig gemacht? Abgestemptelt als Luxus-Kiddie der Cybergeneration, das einfach die besten Medis will und “mal so schnell im Web” was gelesen hat. Die Herren Ärzte sind zudem gern eingeladen, einmal während eines akuten Schubes einige Tage 24 Stunden mit einem zu verbringen, anstatt jeweils zu den Tageszeiten, wo es mir – vollgestopft mit Schmerzmitteln – am besten geht, ihre Eindrücke zu sammeln. Immerhin gibt es einige Ärzte, die so empathisch sind, dass sie begreifen, wie es einem geht.

Natürlich komme ich mir jetzt im Moment komisch vor – heute, hier und jetzt gehts mir ziemlich gut, aber die sollten doch wissen, dass das a) innert Stunden ändern kann und b) tagsüber die ruhigste Phase ist. Ich kam mir vor, wie wenn ich mich dafür entschuldigen müsste, dass es mir gut geht. Hat er mich mal Treppensteigen gesehen während eines Schubs? War er dabei, als ich morgens um 3 vor Schmerzen nur noch Stöhnen und kaum mehr atmen konnte? Kennt er meinen Fall seit Jahren? Weiss er, wie es ist, wenn einen zum ersten mal die Partnerin leiden und wie ein Krüppel gehen sieht? Natürlich nicht, er hat mich heute zum ersten Mal gesehen. “Remicade als Schmerzmittel” sei halt schon ein wenig heikel, so sieht er meinen Fall. Aha. Gut. Ich soll also die nächsten vielleicht bis zu 70 Jahre weiterhin fleissig 2x Tramal Retard 100mg, 4000mg Paracetamol, 2x200mg Celebrex und 2x75mg Diclofenac schlucken in den akuten Schüben? Nee du. Und wie stehts mit den Langzeitschäden durch die Medis? Wie stehts mit der Degeneration der Gelenke? Klar kann Remicade heavy Nebenwirkungen haben, und klar sind Langzeitstudien noch nicht möglich. Aber wer sich das überlegt hat und diese Risiken auf sich nimmt, braucht nicht nochmals solche Referätchen.

Also ab nach Hause, Impfausweis holen, zum Glück wohne ich in der Nähe. Nette Überraschung: Ich darf sogar daheim schlafen. Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich auch anders planen können. Morgen früh um neun solls losgehen mit der Infusion. Was da wohl noch für Überraschungen warten?

28. November 2002, Abend: Es ist drin! Nichts verschreien, aber ich fühl mich gut. Seit 22 Stunden ohne konventionelle Antirheumaktika. Es ist 22 Uhr, und normalerweise müsste ich nun unbeweglich sein, die Schultern müssten bei jeder Bewegung stechen, ich könnte mich nicht mehr am Rücken kratzen. Die Beckengelenke müssten blockiert sein, das rechte Knie bei jedem Schritt schmerzen, ich könnte mich nicht drehen im Bett. Aber nichts dergleichen: Die Gelenke sind zwar spürbar noch gereizt, aber fühlen sich gar nicht so an die die letzten Monate um diese Uhrzeit. Ich fühle mich gut, aber es hat deutlich etwas geändert – ich fühle mich wie auf einer Insel, auf der ich die letzten Jahre war. Nach wie vor scheint die Sonne, das Meer ist blau, die Palmen sind schön. Es windet wie immer leicht – aber zum ersten Mal nach 8 Jahren hat der Wind gedreht. Statt Nordwind zum ersten mal Südwestwind. Wie sich dadurch die Temperatur ändert, oder welche Wolken (wenn überhaupt) der neue Wind bringt, wird sich zeigen. Jedenfalls bin ich momentan erleichert und happy!

29. November 2002, Abend: Die Schmerzen in der BWS sind komplett, jede in Becken und Schultern beinahe verschwunden – ich habe Celebrex und Tramal komplett absetzen können. Wegen meinem sich in Heilung befindlichen Knie nehme ich weiterhin 75mg Voltaren am Tag. Dafür ists mir ab und zu ein wenig übel und ich hab vermehrt Kopfschmerzen. Einziges wirkliches Problem: Das operierte Knie tut dumm, sehr geschwollen und schmerzhaft… hm. Vielleicht habe ich auch in der Physio ein wenig überbordet oder das Knie angeschlagen (bin an dieser Stelle gefühllos), und es hat nichts zu bedeuten – ich warte einmal ab. Aber es ist schon ein ganz neues Gefühl, sich im Bett drehen zu können ganz normal! Ich will keine voreiligen Schlüsse ziehen, doch das macht mich alles sehr zuversichtlich und glücklich!

1. Dezember 2002: Leichte Schmerzen in der rechten Schulter, einige Verspannungen entlang der Wirbelsäule – aber ansonsten nach wie vor schmerzfrei… unglaublich!

7. Dezember 2002: Eine Woche mit Problemen im frisch operierten Knie liegt hinter mir – die Bechterew-Schmerzen sind nach wie vor verschwunden, mit zwei Ausnahmen: In der BWS und in der rechten Schulter gibts Bewegungsschmerzen, die aber im Vergleich zum Rest des Jahres vernachlässigbar sind. Die einzige Nebenwirkung, die eventuell auf Remicade zurückzuführen sein könnte, ist ein leicht brennendes Jucken auf der Oberseite der Hände – aber das auch nur 1-2mal am Tag.

14. Dezember 2002: Leichte Schmerzen sind wieder an den alten Schmerzstellen zu versprüren, vor allem die rechte Schulter tut fast bei jeder Bewegung weh. Aber auch in der BWS wieder deutliche Verspannungen, von Schmerzen kann man fast noch nicht reden. Allgemeines Gefühl: Bechti meldet sich langsam wieder zurück. Dennoch nach wie vor um Welten besseres Befinden vor der ersten Remicade-Infusion.

23. Dezember 2002: Die ganz leichten Schmerzen sind vermehrt spürbar, vor allem in den Schultern – aber noch weit weg von einem störenden Schmerz. Seit dem 21. Dezember fahre ich wieder Ski, zum ersten Mal seit 8 Jahren immerhin ohne Bechti-Schmerz, dafür macht das Knie nicht mit. Ein Osteophyt an der Patella könnte ein Grund dafür sein, der mit dem Bechterew zu tun haben könnte. Das Stechen im Knie ist mühsam – aber wieder über den Schnee schweben zu können, ist wunderbar…

28. Januar 2003: Ein ganz normaler, bechterewfreier Monat liegt hinter mir. Auch wenn die Schmerzen im Steissbein und in der Schulter in den letzten Tagen wieder so spürbar wurden, dass ich zwischendurch dachte “hey, was soll das, mühsam” – alles in allem muss ich sagen: Ich fühle mich geheilt, befreit, happy… fahre jede Woche mindestens zwei Tage Ski und fühle mich auf der Piste wie ein Fisch im Wasser, gehe aufrecht und hinkfrei, bin am Morgen nicht verspannt, verschwende keine Gedanken an die Krankheit. Morgen bekomme ich die zweite Gabe Remicade. Ich hoffe, diesmal läuft alles rund und verzögerungsfrei.

5. Februar 2003: Die neue Portion Remicade wirkt – die erneut aufgetauchten Schmerzen in den früher am stärksten betroffenen Regionen sind wieder abgeflaut. Auch die Verabreichung verlief diesmal problemlos und speditiv. Aber viel wichtiger: Es schneit! Und wie. Genial.

24. Februar 2003: Umwerfend, dieser Winter. Wohl wetter- und schneemässig einer der schöneren, die man im Leben so mitbekommt. Seit drei Wochen schier wolkenloser Himmel, der Schnee liegt meterhoch, selbst das Flachland ist weiss. Skitage Nummer 20 bis 24 standen dieser Tage an. Und nun ist mir auch klar: Ich muss so eine Art transgenes Wesen sein, das in irgend einem Frankensteinlabor zum ausschliesslichen Zwecke kreiert wurde, Ski zu fahren… falls in der Zeitung also von einem juchzenden, schnellen Ding die Rede sein sollte, das strahlend im Bündner Oberland auf den Pisten umherwirbelwindend gesichtet wurde – well, that’s me. Die Gelenke? Ach ja… hatte ich da nicht mal was?

20. März 2003: Ich finde keine neuen Superlative – seit fast 7 Wochen schönes Wetter und traumhafte Schneeverhältnisse. Vor einem Jahr begann der starke Bechterew-Schub; damals musste ich die Skiferien abblasen, da an Pistenvergnügen nicht zu denken war. Andere Welt ein Jahr später: Dank Remicade bin ich heute nun schon den 34. Tag Skifahren gegangen. In einer Woche steht die nächste Infusion an.

5. April 2003: Wie schon nach der letzten Infusion gabs ein minimes Aufflammen der Schmerzen in einzelnen Bereichen (Steissbein, rechte Schulter). Aber ansonsten ist langsam alles Routine – und mein Leben ist nach wie vor weitgehend schmerzfrei und voller Energie. Freude! Wer hätte das vor einem Jahr gedacht.

8. Juni 2003: Über zwei Monate sinds seit dem letzten Eintrag her – bis Ende April kamen schlussendlich 45 Skitage zusammen, seit 1992 (ein Jahr, bevor sich die Bechterew-Symptome signifikant zu manifestieren begannen) konnte ich nie mehr so oft meiner liebsten Tätigkeit frönen. Jetzt ist bereits Hochsommer, und ausser leichten Schmerzen im Steissbein (und dem guten alten operierten Knie) geniesse ich den ersten komplett beschwerdefreien Sommer seit zehn Jahren: Kein Nicht-aufs-Velo-steigen-Können, kein Hinken der Aare entlang, keine Mühen mit im Wald absitzen und nicht-wieder-aufstehen-Können, keine Mühen, einen Hügel hinaus zu pedalen oder gehen. Eine Besserung, die sich nicht in Franken ausdrücken lässt. Allen, die mir weismachen wollten, ich sei ein zu leichter Fall für Remicade, sei hiermit gesagt: Für das, was ich seit Dezember 2002 an Lebensqualitätsverbesserung erlebt habe, finde ich kaum Worte. Wer auch immer Arthritis-PatientInnen, bei denen nichts (mehr) Schmerzen nützt, TNF-Alpha-Hemmer nicht zumindest testen lässt, handelt sicher nicht im Sinne der chronisch Kranken. Ebensowenig der Bundesrat, der Franchise und Selbstbehalt erhöht – eine Massnahme, welche die falschen trifft: Jene nämlich, die gar nicht anders können als regelmässig Medis schlucken oder spritzen, um ein normales Leben führen zu können. Angeblich sollen mit dieser Massnahme die Leute davon abgehalten werden, wegen jedem Bobo gleich zum Arzt zu rennen. Wunderbare Idee – aber bitte nicht so! Viel effektiver wären mutigere Ärzte, die auch gleich mit neuen Kompetenzen ausgestattet werden: Leute, die sonst kerngesund sind und mehrmals wegen Bagatellen zum Arzt gehen, blechen selbst – wie beim Zahnarzt. Ich bezahle schliesslich auch den jährlichen Check beim Zahnarzt selbst. Betroffene PatientInnen werden vom Arzt oder der Ärztin gleich darauf hingewiesen und bekommen eine Rechnung mit. Natürlich gibts Abgrenzungsprobleme und Spannungen zwischen Ärzteschaft und Patienten, doch das muss lösbar sein – im Sinne eines für alle erschwinglichen Gesundheitswesens müssen solche Kompromisse drinliegen. Es geht nicht an, dass chronisch Kranke überflüssige Arztbesuche von Kerngesunden quersubventionieren. Andererseits: Was ist, wenn sich das “Wehwehchen” als Tumor herausstellt und man – durch den Herrn Bundesrat auf “kostenbewusst” getrimmt – nicht zum Arzt geht? Das kanns ja wohl auch nicht sein. Wie behandelt man also Grenzfälle, wo die Symptome auch auf eine schwerwiegende Erkrankung schliessen lassen? Gar nicht, denn sie sind vom heutigen Selbstbehalt und der Franchise in der Regel gedeckt – die Chance, dass jemand gleich mehrmals im Jahr wegen “Grenzfällen”, die ebenso Bagatellen sein können, zum Arzt geht, ist klein. Auf einer Gesundheitschipkarte muss zudem die Krankengeschichte gespeichert sein – wer chronisch krank ist, hat demnach Anrecht auf tiefere Selbstbehalte und Franchisen. Berufshypochonder hingegen zahlen entsprechend höhere Grundbeträge, sofern nicht nachgewiesermassen ein tatsächliches Leiden oder ein psychischer Grund vorliegen. Bezüglich einer solchen Chipkarte müssen auch übertriebene Datenschutzbedenken endlich überwunden werden, im Sinne von möglichen Einsparungen. Damit Arztbesuche in Zweifelsfällen auch für einkommensschwache Schichten erschwinglich werden, muss das Volk mit solch einschneidenden Massnahmen sensibilisiert werden, damit in Zukunft Vorstösse, welche die Prämien auf das Einkommen abstellen, auch eine Chance haben.

28. Juni 2003: Bechterew-Infoveranstaltung in Bern. Die Schweizerische Bechterew-Vereinigung hat mich gebeten, neben Ärzten, Physiotherapeutinnen und Sozialarbeiterinnen auch ein Referat zu halten – mit meiner Krankheitsgeschichte und meinen Erfahrungen mit konventionellen und neuen Medikamenten. Das Referat ist hier als PDF (25kb) abrufbar und wurde im August auch noch in Aarau und Zürich gehalten.

29. Juli 2003: Ein Traumsommer – und auch der erste seit zehn Jahren, den ich schmerzfrei geniessen kann. Ein Genuss! Morgen ist die nächste Remicade-Gabe fällig, das neue Intervall von 10 statt 8 Wochen hat sich eigentlich bewährt. Die seltsamen Schmerzen im Steissbein vom Juni sind auch wieder verschwunden, und ansonsten tut sich ausser einem leichten Ziehen im ISG… nichts. Gut so! – Nach meinem Referat von Bern, das ich nun im August auch in Aarau und Zürich halten werde, möchte mich die Herstellerfirma von Remicade als “Musterfall” für eine ihrer Veranstaltungen gewinnen. Ich als Werbeträger für die Pharma-Industrie? Nicht gerade mit einem reinen Gewissen. Aber zumal mir dank dieses Präparates quasi ein neues Leben geschenkt wurde und ich mir mit einer zunehmenden Verbreitung auch eine Verbilligung erhoffe, habe ich zugesagt.

29. Dezember 2003: Tatsächlich sind’s fünf Monate seit dem letzten Eintrag – wohl der schlagende Beweis, dass mich der Bechterew dank Remicade nur noch marginal beschäftigt bzw. alle 10 Wochen bei den Remicade-Infusionen. Diesen Winter liegen schon 5 Skitage hinter mir – ausser leichten Schmerzen im ISG verspüre ich… nichts. Unterdessen ist im Herbst noch ein Beitrag im Heft “Gesundheit Sprechstunde” erschienen.

27. Mai 2004: Und wieder sind fünf Monate vergangen – keine Änderung… 43 Skitage gabs diesen Winter, von Bechterew keine Spur… – Bis zu einer wesentlichen Änderung der Lage gibts hier auch keine Einträge mehr!

25. Dezember 2004: Schon 14 Skitage diesen Winter – und davon eine Traumwoche vor Weihnachten! Vom Bechterew ist nichts zu spüren, nur das Knie geht wohl bald mal in die Knie. Bad News dafür von der Medikamentenfront. Celebrex, das ich nach der Voltaren-Phase auch jahrelang genommen habe, soll wie Vioxx ein erhöhtes Herzinfarktrisiko verursachen. Schön ist das zwar nicht; was mich an der ganzen Diskussion aber ungemein nervt, ist das Gefühl, wenn ein Medikament mal auf dem Markt ist, wirke es perfekt und habe sicher keine Nebenwirkungen. Ich nehme ja nicht gerne die Pharmamultis in den Schutz, da gibts doch wesentlich sympathischere Organisationen. Trotzdem: Ohne sie würde ich immer noch frustriert rumhinken und könnte zeitweise nicht skifahren. Ich wiederhole, was ich schon weiter oben gesagt habe: Lieber etwas früher sterben, dafür aber die besten Jahre des Lebens umso intensiver geniessen. Natürlich sollen neue Medikamente möglichst sicher und frei von Nebenwirkungen sein. Aber wenn man jedes erfolgsversprechende Medikament erst nach 20 Jahren auf den Markt bringen würde, wenn auch langfristige Studien vorliegen, wäre das wohl kaum im Sinne der PatientInnen. Es ist naiv, zu glauben, dass auch die Spitzenmedizin perfekt ist, nur weil sie so viel kostet. In diesem Sinne sollten doch jene, die das anders sehen als ich, einfach auf alle neuen Medikamente verzichten. Selbst wenn ein Medikament freigegeben ist, sind alle, die es Einnehmen, immer noch eine zeitlang Versuchskaninchen – und sollten sich dessen bewusst sein. – Ich hoffe, dass ich dies auch dann noch sage, sollte sich mal herausstellen, dass mein Wundermittel Remicade gravierende langfristige Nebenwirkungen hat. On verra. Jedenfalls hätte ich ohne Remicade kaum zwei schmerzfreie Jahre verbracht, in denen ich mich aufs Leben statt auch die Schmerzen konzentrieren konnte.

27. Februar 2005: Gestern war der 40. Skitag dieses Winters – von Bechterew keine Spur…

22. April 2005: Skitag Nummer 53 – und wohl der letzte dieses Winters – unter erschwerten Umständen: Zum ersten Mal seit zweieinhalb Jahren tritt sowas wie ein mysteriöser Bechterewschub auf. Mein rechter Unterarm ist voller Schmerzpunkte, Druckstellen und Verspannungen- dies erschwert das Arbeiten am Compi extrem; es gibt seltsame Druckstellen an diversen Stellen, gewisse Fingergelenke und Teile des Handelenkes Schmerzen, Gedanken an Polyarthritis werden wach… Im Spital sagten sie nach einem Ultraschall-Check vor 3 Tagen “Epicondylopathie” – typische Computerarbeiterkrankheit. Anfangs dachte ich: “Diese Art von Schmerzen erinnert mich weniger an Bechterew” – nun bin ich nicht mehr sicher, da ich in anderen Gelenken auch ein leichtes Ziehen und an verschiedenen Stellen Verspannungen fühle – jedenfalls mehr als sonst. Nichts Beunruhigendes, denk ich, aber es bringt die bad vibes von früher zurück. Hoffen wir, dass es keine Anzeichen davon sind, dass ich Antikörper gegen Remicade entwickelt habe; angeblich gabs solche Fälle…

13. Juni 2005: Na toll – nun steht auch Voltaren unter Verdacht, das Herzinfarktrisiko zu erhöhen. Laut einer Studie der Uni Nottingham um bis zu 55%. Also spar ich wohl doch nicht mehr für die dritte Säule – das Geld seh ich eh nie, denn ich nehme seit 1994 fast durchgehend Voltaren bzw. den Wirkstoff Diclofenac…

29. Juli 2005: Es ist ratsam, während einer Therapie mit TNF-alpha-Hemmern den Arzt / die Ärztin aufzusuchen, wenn man Fieber hat… mich hat irgend ein Bakterium flachgelegt: Knallroter Hals, Ausschlag, Fieber, Kopfschmerzen, belegte Zunge – sowas wie Scharlach wohl. Mit einem geschwächten Immunsystem kann das schnell mal schief gehen. So fands der nette Arzt des Inselspitals auch nicht weiter tragisch, dass ich ihn eines schönen Sommerabends spätabends nochmals an seinen Arbeitsplatz kommen liess.

3. August 2005: Scharlach wars, Streptokokken… es hatte sich also gelohnt, ins Spital zu fahren. Der Operation in einer Woche sollte aber nix im Wege stehen; mit Antibiotika war schnell wieder Business as usual angesagt.

6. März 2006: Hm, ich sollte hier wohl wieder mal etwas schreiben… die fünfte Knie-Operation und Rehabilitation im August 2005 verliefen nach Plan, ich fahre mit einer korrigierten Gelenksachse seit Mitte Februar wieder Ski (wenn auch weniger als vorher), die Remicade-Infusionen konnten problemlos fortgesetzt werden – seit letztem Herbst auch nach einem “schnellen Schema”, was heisst, dass ich weniger lang im Spital bin. Vom Bechterew spüre ich ja schon lange nichts mehr – darum lehne ich nach dem Motto “Never change a winning team” auch alle Vorschläge der Ärzte ab, eventuell das Medikament zu wechseln (wenn das neue wenigstens billiger wäre – ists aber nicht, also was solls). Abgesehen von vermehrten leichten Infekten (Schnupfen lässt grüssen) alles in Butter!

9. September 2006: Vom Bechterew merke ich primär, dass mich alle auf diese langsam etwas doofen Inserate ansprechen, die in diversen Medien wöchentlich erscheinen – und mich in diesem komischen Star-Trek-Dress zeigen. Dabei hatte ich seit Jahren keine Iritis mehr… aber immerhin: Indirekt haben es meine Laien-Model-Gschpändli und ich also sogar in die Schlagzeiten der “SonntagsZeitung” geschafft 🙂

SonntagsZeitung, August 2006

9. Dezember 2006: Bald steht der dritte Skitag in diesem Winter an, jaaaa! Bechterewmässig gibts auch News – da ich einen stark erhöhten CK-Wert hatte, musste ich ein MRI der Oberschenkel machen lassen sowie eine Muskelbiopsie. Alles ging gut über die Bühe, auch wenn so ne Biopsie nix für Schwache Nerven ist – aber eigentlich recht lustig, solange die lokale Betäbung gut wirkt 🙂 Mehr zum MRI im Blog… Die Ergebnisse stehen noch aus, das ganze könnte aber auch auf die Maligne Hyperthermie zurückzuführen sein, die in unserer Familie grassiert.

14. Dezember 2006: Unterdessen sind die Ergebnisse draussen: Die Biopsie ist unauffällig… als ehester Grund für den hohen CK-Wert vermuten die Spezialisten tatsächlich die in der Familie vorhandene Maligne Hyperthermie. Tja.

12. Februar 2007: Tatsächlich wurde ich inzwischen (wie mein Vater) positiv auf Maligne Hyperthermie getestet – und trage nun eine Notfalkarte bei mir, denn dieser kleine Gendefekt wirkt sich nur bei Narkosen aus, sonst zum Glück nicht.

20. Oktober 2008: Bechterewmässig gehts mit Remicade alle 10 Wochen blendend – nur machen mir die zunehmenden Krämpfe in allen möglichen Körpergegenden Mühe. Dazu kommt unvermitteltes Muskelzucken, besonders um die Augen und an den Armen. Ists nur der erhöhte CK-Wert wegen der malignen Hyperthermie? Momentan werden deswegen Abklärungen betroffen.

2. Februar 2009: Seit drei Monaten nehme ich nun 600mg Neurontin täglich – das soll meine Muskeln etwas beruhigen. Und es scheint zu wirken. Die Neurologen meinten nach einem Hirn-CT, das sei einen Versuch Wert. Ich werde es allerdings wieder absetzen – denn 3x täglich wieder Medis nehmen war an sich nicht wirklich die Idee. Ansonsten gehts blendend, schon 28 Skitage in den Knochen…

17. Mai 2012: Vielleicht sollte ich hier wieder mal etwas schreiben? Dank den Remicade-Infusionen alle 10-13 Wochen gehts mir immer noch bestens. Seit bald 10 Jahren! Ein Hoch auf Infliximab…

21. Dezember 2013: Unveränderte Lage 🙂 Inzwischen durfte ich gemeinsam mit meinem Geschäftspartner die Website bechterew.ch neu gesalten. Ein schöner Nebeneffekt der Krankheit.